The Walk of the World, oder: Wie die Niederländer:innen mir etwas über Vielfalt beigebracht haben

Sarah ist eine der Sprecher:innen unseres co-pride LGBTQIA Diversity Netzwerks. Begleiten Sie sie auf einem Ausflug nach Nimwegen, wo sie an einem der traditionellsten militärischen Ausdauerevents der Niederlande teilnimmt.

Ich heiße Sarah Schiller, und ich bin eine der Sprecher:innen des co-pride LGBTQIA Diversity Netzwerks der Continental.

2006 habe ich bei Continental im Technology Centre in Hannover angefangen. Zwei Jahre später konnte ich auf Entsendung in die Slowakei meine erste Führungsverantwortung übernehmen. Nach meiner Rückkehr habe dann ich diverse Forschungs- und Produktentwicklungsprojekte geleitet. Heute bin ich als Head of Trial Molds Replacement verantwortlich für eine internationale Gruppe von Entwickler:innen von Prototypenwerkzeugen in Hannover und Wien.

Während meine Stelle einen deutlich abgegrenzten technischen und personellen Schwerpunkt hat, kann ich mit unserem LGBTQIA Netzwerk die Firmenkultur der Continental im weiteren Sinne mitgestalten. Wir fördern dabei eine Kultur, die alle Mitarbeitenden annimmt wie sie sind, unabhängig von deren Geschlechtsidentität oder sexuellen Orientierung, und wo alle sich

mit ihrem ganzen Sein mit einbringen können.

Ob es darum geht welchen Einfluss wird ein Coming-Out auf die Karriere haben wird, oder wie etwa das dritte Geschlecht in der Personaldatenbank vorgehalten wird - es gibt einige Schwierigkeiten für queere Menschen in der Arbeitswelt. Weil viele sich dessen nicht bewusst sind, bietet unser Netzwerk Workshops zur Bewusstseinsbildung an. Dort laden wir alle ein, etwas über LGBTQIA zu lernen und auch gleich die eigenen Voreingenommenheiten zu reflektieren. Es ist immer großartig mit anzusehen, wie motiviert alle sind, etwas an der Kultur zu bewegen und wie mutig sie mit uns ergründen, was ihr persönlicher Beitrag zur Veränderung sein kann.

Ich kann meine Entscheidung, beim co-pride LGBTQIA Netzwerk von Continental mitzumachen, auf einen schönen Sommertag vor ein paar Internal Jahren zurückführen. Damals reiste ich mit ein paar Kolleg:innen zum Wandern in die Niederlande, durfte aber dabei über meine eigenen Vorurteile lernen. Hier ist die Geschichte...

Der “Internationale Vierdaagse Afstandsmarsen Nijmegen” – “The Walk of the World” (auf Deutsch: der Nimwegenmarsch), ist das größte mehrtägige Marschevent der Welt. Seit 1909 versammeln sich Tausende von Wanderfans jeden Juli in Nimwegen in den Niederlanden. An vier aufeinanderfolgenden Tagen absolviert man bis zu 50 Kilometer täglich. Was als Beweis militärischer Marschfähigkeiten begann, zieht heute 45000 mehrheitlich zivile Teilnehmer an.

Als eine Kollegin in der Reifen F&E in Hannover mit der Idee ankam, beim „Vierdaagse“ mitzumachen, dachte ich erst: „Was für eine komische Idee. Welcher normale Mensch würde im Hochsommer freiwillig 50 Kilometer am Tag gehen?“. Natürlich fingen wir sofort mit der Vorbereitung an!

Bald schon kam die dritte Juliwoche, wir packten unsere Sachen und los ging es nach Nimwegen. Worauf mich all die langen Wanderungen durch die ruhigen Landschaften der Region Hannover allerdings nicht vorbereitet hatte, waren die 1,5 Millionen Zuschauer, die die ganze Stadt in ein riesiges, vier Tage und Nächte dauerndes Volksfest verwandelten. Während 45.000 Menschen marschierten, waren die Straßen voll von Leuten, die feierten, uns zujubelten und die allen „veel succes“ (Viel Erfolg) mit auf den Weg gaben. Niederländische Karnevalshits, Hardstyle Techno, Marschlieder und Evergreens wie „Sweet Caroline“ gingen nahtlos ineinander über.

Der Moment als mir ein Licht aufging, kam am zweiten Tag des Events. Wanderleute, so dachte ich, sind doch total konservativ und traditionell. An jenem “Roze Woensdag” (rosa Mittwoch) lernte ich jedoch zu meiner Überraschung und zu meiner Freude, dass die Leute im Marsch und drumherum traditionell etwas rosa-farbiges anziehen, um eine Art Christopher-Street-Day zu feiern. Man konnte ältere Damen im Flamingokostüm sehen, Pfadfinder mit rosa Halstuch, und auch die Uniformen der Soldaten hatten auf einmal eine rosige Farbe neben den

üblichen Grüntönen. Sogar die Kirchtürme an der Strecke trugen an diesem Tag die Regenbogenflaggen! Alle reichten der Queer Community die Hand, und gaben deren Anliegen Sichtbarkeit und unaufgeregte Anerkennung; das alles während gewandert wurde.


Erst als mein eigenes Vorurteil da so in Scherben lag, wurde mir klar, wie hier Menschen aus allen Richtungen für vier Tage zusammenkamen, um gemeinsam das Menschsein in all seiner Vielfalt zu erleben. Egal welchen Alters, wo sie herkamen, wer sie waren oder wen sie liebten; am Ende des vierten Tages trafen sich alle zur Abschlussparade. Wir bekamen die traditionellen Gladiolen an den Rucksack gesteckt, und gingen gemeinsam auf die Ziellinie zu, wo uns der Lohn für all die Mühen erwartete: die königliche Medaille für herausragende Marschfähigkeiten.

Inzwischen habe ich den Vierdaagse bereits ein zweites Mal absolviert, und hoffe, dass ich das noch viele Male schaffen darf. Seine Vielfalt bereichert mich mit neuen Perspektiven, und ich begegne dort immer wieder neuen, interessanten Leuten. Vereint durch die Aufgabe begegnen sich Menschen, um in der Gemeinschaft etwas zu er-leben. Dieses Gefühl nehme ich mit in meine Rolle als Führungskraft bei Continental, und es ist auch was mein Herz leitet, wenn ich mit unserem co-pride LGBTQIA Netzwerk daran arbeite, Continental für alle noch besser zu machen.